Die Insolvenz des Edel-E-Bike-Startups VanMoof schickt sich an, den Markt für E-Bikes und Pedelecs deutlich durchzurütteln. Auch auf Tichys Einblick im tendenziell (abgesehen von DonAlphonso) etwas fahrradkritischeren liberal-konservativen Millieu scheint man schon zu frohlocken, dass der E-Bike-Boom jetzt zu Ende gehen mag. Doch dass die VanMoof-Pleite als Indikator einer Trendwende im Fahrradsektor beurteilt werden kann, ist nicht ausgemacht. Zu stark unterscheiden sich Ausrichtung und Konzept von VanMoof vom regulären Fahrradmarkt.
VanMoof wollte wohl so etwas werden, was Apple für den PC-Markt ist: Schicke, außergewöhnliche Räder mit hohem Wiedererkennungswert, eine innovative App. Reparatur und Wartung dafür nur bei zertifizierten Händlern und in den eigenen Hubs. Gerade letzteres hat den Niederländern jetzt wohl das Genick gebrochen.
Der Teilemarkt im Fahrradbereich ist, gut vergleichbar mit dem PC-Markt, stark standardisiert. Vieles ist untereinander kompatibel. Bricht einem Fahrradpendler auf der holprigen Abkürzung durch den Stadtwald beispielsweise eine Felge, hat ein guter Fahrradhändler in der Regel ein passendes Ersatz-Laufrad für die gängigen Reifen- und Felgengrößen auf Lager. Binnen kurzer Zeit ist der Pendler wieder auf der Piste. Der limitierende Faktor sind eher die prallgefüllten Auftragsbücher der Fahrradwerkstätten. Wer selbst schraubt, kann die allermeisten Handgriffe durchaus selbst durchführen.
Gerade zu Beginn der Corona-Krise ist die Ersatzteilversorgung massiv wegen der Lockdown-Auswirkungen unter Druck geraten. Die allermeisten Ersatzteile kommen aus Fernost. Das gilt gerade für Antrieb und Schaltwerke, denn der Marktführer Shimano sitzt in Japan und fertigt in Singapur und Malaysia. Der Ersatzteilmangel betraf vor allem günstige Standard-Verschleißteile, die aber durchaus kompatibel zu höherwertigen Teilen aus dem Sportbereich sind. Als die Lieferketten unterbrochen wurden, landete deswegen so manche teure Mountainbike-Schaltgruppe im dringend benötigten Pendlerrad.
VanMoof: Scheitern einer Strategie
Während man sich mit einem konventionellen Fahrrad – egal ob mit oder ohne Elektromotor – irgendwie behelfen konnte, guckten VanMoof-Besitzer mitunter wochenlang ins Oberrohr. Hinzu kamen qualitative Mängel an der Elektronik der niederländischen Fahrradpioniere. Der Reperaturaufwand innerhalb der Gewährleistungszeit muss bei VanMoof deutlich über dem branchenüblichen Umfang gelegen haben. Wenn VanMoof also so etwas wie das Apple des Radverkehrs ist, dann wohl eher das Apple der frühen 1990er:
Damals wären in Cupertino beinahe die Lichter ausgegangen, weil man nicht mehr mit preisgünstigen IBM-PC mithalten konnte. Selbige wurden aus frei verfügbaren Standard-Komponenten zusammengesetzt, während Apple nahezu komplett auf eine eigene Plattform setzte. Das ging lange gut, weil Apple mit seiner graphischen Benutzeroberfläche einer breitren Nutzerschicht zugänglich war. Aber quasi über Nacht hatte das IBM-Lager mit Windows 3.0 und etwas später Windows 95 eine zeitgemäße graphische Benutzeroberfläche erhalten. Erst mit der Rückkehr von Steve Jobs, der Einführung von OS X und der Fokussierung auf mobile Endgeräte vom iPod bis zum PowerBook kam Apple um die Jahrtausendwende wieder in Tritt.
Bei VanMoof hat man aber weder echte Pionierleistungen erbracht, noch ist dort ein Fahrrad-Steve-Jobs absehbar.
Pedelec-Markt nach Corona: Kommt jetzt eine Konsolidierung?
Trotz der Andersartigkeit des jetzt gescheiterten Startups könnte der E-Bike-Markt dennoch vor einer Konsolidierung stehen. Während der Corona-Hysterie haben zahlreiche Menschen das Fahrrad nicht nur als Verkehrsmittel entdeckt. Während langer, monotoner Lockdowns waren Radtouren eine der wenigen Möglichkeiten, die zur aktiven Freizeitgestaltung noch blieben. Als Restaurants, Kinos, Sportstätten und Konzerthallen geschlossen oder Menschen zweiter Klasse auf Regierungsbefehl ausgegrenzt blieben, gab es einen regelrechten Run auf die begehrten Räder. Ein Fahrrad – und erst recht ein Elektrofahrrad für mehrere tausend Euro – ist aber kein schnelllebiges Lifestyle-Produkt wie das neues Smartphone, sondern kann über Jahre Freude und treue Dienste bieten. Allenfalls der Akku muss irgendwann ersetzt werden. Es ist also denkbar, dass der ein oder andere Fahrradhersteller sich im Boom verkalkuliert und jetzt nicht mehr so viel absetzen kann, wie er eigentlich müsste.
Unfälle: An oder mit Pedelec?
Rund um das Thema E-Bike entspannen sich zudem immer wieder Sicherheitsdiskussionen – so auch im Tichy-Artikel. Gerne wird dabei behauptet, mit den angeblich schnelleren Pedelecs würde es häufiger zu Unfällen kommen. In den Unfallstatistiken haben sich die Unfälle mit den Elektrorädern in den letzten Jahren tatsächlich vervielfacht. Dabei handelt es sich jedoch vorwiegend um ein Verdrängungseffekt:
Den Aufwärtstrend bei den Unfällen gibt es zwar auch in den Gesamtzahlen, jedoch fällt er deutlich weniger ins Gewicht. Analog zur Covid-Hysterie wird weitgehend unterschlagen, dass die Unfälle jetzt also mit anstatt wegen des Pedelecs auftreten. Ein großer Teil der Zunahme der Unfälle mit Pedelecs lässt sich anscheinend dadurch erklären, dass die Verunfallten einfach auf ein Elektrorad umgestiegen sind.
Zudem ist das Unfallgeschehen im Radverkehr deutlich stärker von saisonalen Schwankungen abhängig. In den 2010er-Jahren gab es kaum extreme Wetterlagen, die sich auf die Fahrradsaison ausgewirkt haben. Doch die letzten beiden Jahre waren anders: Bereits jetzt deutet sich an, dass im verregneten Sommer 2023 deutlich weniger Radfahrer verunfallen werden, als im entscheidend wärmeren und trockeneren Vorjahr 2022. Ein ähnlich deutlicher Rückgang tödlicher Fahrradunfälle wurde beispielsweise auch vom „Jahrhundertsommer“ 2003 auf das ungemütlichere Folgejahr 2004 verzeichnet. Von 616 tödlich verunglückten Radfahrern ging die Zahl seinerzeit um 141 auf 475 Todesfälle zurück. Wegen solcher Ausreißer werden im Verkehrsbereich normalerweise nicht einzelne Jahre betrachtet, sondern immer mehrere Jahre zu Durchschnittswerten zusammengefasst. Doch auf Grund der Corona-Hysterie haben diese Zahlen derzeit nur eine begrenzte Aussagekraft.
Radunfälle: Verfälscht die Corona-Krise die Unfallzahlen?
Im Juni mahnte der Verkehrsblogger Martin Randelhoff auf Zukunft Mobilität, dass die Zahlen der drei Corona-Jahre 2020-2022 mit großer Vorsicht betrachtet werden müssen. Das betrifft gerade den Umweltverbund, also Fahrrad, Fuß und öffentliche Verkehrsmittel. Denn egal ob hysterisch-panischer Corona-Phobiker, der in jedem Mitreisenden eine Todesgefahr vermutete oder Realist, der den Maskenirrsinn früh durchschaut und sich dem nach Kräften entzogen hat: Beide Gruppen sind regelrecht aus Trams und Bussen geflüchtet und haben sich dann auf dem Radweg wiedergetroffen.
Zum jetztigen Zeitpunkt ist völlig unklar, wie sich das auf das Unfallgeschehen im Radverkehr ausgewirkt hat. Denkbar ist einerseits, dass wenig Fahrrad-erfahrene ÖPNV-Nutzer sich während der Covid-Krise nach Jahren wieder im Alltag auf’s Rad geschwungen haben. Diese Unerfahrenheit könnte sie häufiger in kritische Verkehrssituationen verwickelt haben. Denkbar ist aber auch, dass während der Lockdown- und Homeoffice-Zeit die Verkehrsleistung allgemein sank und eine starke Verschiebung in Richtung Radverkehr zu einem Safety-in-Numbers-Effekt geführt hat. Radfahren könnte für den einzelnen Radfahrer in dieser Zeit sicherer gewesen sein, als vorher.
Ohne eine genaue, ergebnisoffene Analyse sollten folglich keine Rückschlüsse aus dem Unfallgeschehen der letzten drei Jahre gezogen werden. Wie kontraproduktiv bis katastrophal sich auf statistischen Fehlannahmen und hysterisierenden Medien beruhende Maßnahmen und politische Entscheidungen auswirken können, haben wir alle während der vergangenen drei Jahre zu genüge durchleben dürfen.
Gib den ersten Kommentar ab