Wer sich kritisch mit der Corona-Krise auseinandersetzt, sieht sich früher oder später mit der Frage konfrontiert, wie es im Frühjahr 2020 zu den hohen Sterblichkeiten von Corona-Patienten weltweit an mehreren Orten kommen konnte. In der deutschsprachigen Corona-Kritik stößt man dann zwangsläufig auf die Thesen des Kieler Internisten Dr. Claus Köhnlein. Sowohl RT DE, als auch Gunnar Kaiser gaben ihm in langen Interviews Raum, seine Thesen darzulegen[1]Die Original-Videos sind inzwischen leider der Youtube-Zensur zum Opfer gefallen.
Kurz gefasst vermutet Köhnlein hinter der hohen Sterblichkeit Anfang 2020 schwere, durch die Hysterie im Gesundheitswesen beförderte Behandlungsfehler. Seiner Ansicht nach wurde viel zu schnell intubiert und es hatte sich in einer Empfehlung der WHO eine fatale Überdosierung des Rheumamittels Hydroxichloroquin eingeschlichen. Mit Korrektur dieser beiden Fehler nahm dann die Sterblichkeit bereits nach einigen Wochen wieder ab.
Köhnlein: AIDS ist eine Phantomkrankheit
Köhnleins Thesen fanden – wenig überraschend – in den großen Leitmedien sowie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk keinerlei Widerhall. Das hat im Falle Köhnleins jedoch nicht nur mit der der generellen Unterschlagung kritischer Stimmen gegen das Maßnahmenregime zu tun, sondern auch mit Äußerungen, die der Kieler Arzt weit vor Beginn der Corona-Krise getätigt hatte. Er war bereits vor Jahren hart mit der Pharmaindustrie ins Gericht gegangen und vertritt zum Thema AIDS hochgradig kontroverse Thesen[2]Köhnlein, Klaus et al.: Virus-Wahn. Corona/COVID-19, Masern, Schweinegrippe, Vogelgrippe, SARS, BSE, Hepatitis C, AIDS, Polio, Spanische Grippe. Wie die Medizinindustrie ständig Seuchen erfindet … Continue reading:
Nach Köhnleins Ansicht handelt es sich bei AIDS um eine reine Phantomkrankheit, die nicht mit dem HI-Virus in Verbindung steht.
Eine derart kontroverse These dürfte bei den meisten Menschen, gerade auch bei vielen Medizinern und fachlich verwandten Wissenschaftlern, direkt einen Abwehrreflex auslösen.
AIDS – die Geissel der 1980er? All die prominenten Opfer wie Freddie Mercury, Keith Haring oder Klaus Nomi? Dahinter all die Millionen an unbekannten, namenlosen Toten, die dieses Virus gefordert hat? Dann das massive Leid, welches über der noch jungen Emanzipation der Schwulen- und Lesbenbewegung hereinbrach und sie nahezu im Keim erstickt hätte? Es erscheint einem instinktiv unmöglich, dass eine ganze Welt sich in dieser Frage getäuscht hat.
Das AIDS-Paradoxon: Wo ist die Krankheit hin?
Wer es jedoch schafft, sich über diesen ersten Abwehrreflex hinwegzusetzen und die Thesen des Mannes einmal ruhig und besonnen auf sich wirken zu lassen, der kann zu einer erstaunlichen Feststellung kommen. Köhnleins Thesen zu HIV und AIDS beruhen nämlich auf drei sehr scharfen, überraschend schlüssigen Gedankengängen:
- Unter der Abkürzung AIDS wird gemeinhin eine sehr gefährliche, nach mehreren ruhigen Jahren tödliche Krankheit beschrieben. In einigen Teilen Afrikas trägt mindestens ein Viertel der Bevölkerung das HI-Virus in sich. Bei einer so weiten Verbreitung und so hoher Mortalität hätte es aber zumindest in einzelnen betroffenen Regionen zu extremen humanitären Katastrophen kommen müssen. Wir reden hier nicht einfach von vermehrten Todesfällen, sondern von der Entvölkerung ganzer Landstriche, wie sie Europa während mehrerer Pestwellen durchlitten hat oder wie es den amerikanischen Ureinwohnern nach der „Entdeckung“ durch die Europäer in Folge der Einschleppung neuer Erreger erging. In Teilen Afrikas kamen hingegen der Zusammenbruch der medizinischen Versorgung und hohe HIV-Prävalenz zusammen, ohne dass es zu solchen Entwicklungen gekommen ist.
- Das HI-Virus ist tückisch. Ein Infizierter kann dieses Virus über Jahre unbemerkt in sich tragen. Die Erstinfektion führt nur zu sehr harmlosen Symptomen, die eher einem grippalen Infekt ähneln. Der letztlich tödliche Ausbruch von AIDS erfolgt erst Jahre später. Wenn die Infektion aber so lange unbemerkt im Körper vor sich hin schlummern kann, wieso sehen wir dann nicht wieder und wieder Fälle, bei denen die HIV-Infektion erst Jahre nach der Ansteckung überhaupt bemerkt wird? Der Infektionsweg betrifft ja einen sehr sensiblen Bereich. In den letzten zwanzig Jahren hat die Stigmatisierung von Homosexualität zwar gottlob stark abgenommen, aber es dürfte immer noch an der Tagesordnung sein, dass sich nicht sämtliche Sexualkontakte eines nachgewiesen Infizierten zurückverfolgen lassen. Wo sind also die Fälle, bei denen sich die Infektion erst durch das Auftreten einschlägiger AIDS-Symptome nach Ausbruch der Krankheit offenbart hat?
- Offen bleibt dann, wie es zu den Millionen Toten vor allem in den 1980er- und 1990er-Jahren kommen konnte. Hier hegt Köhnlein den Verdacht, dass nicht das HI-Virus Ursache der AIDS-Erkrankung war, sondern die seinerzeit noch mit schwersten Nebenwirkungen einhergehende antivirale Therapie. Demnach hätten die frühen Virustatika und Immunsupressiva das Immunsystem der Patienten so katastrophal geschädigt, dass bereits harmlose Infektionen einen tödlichen Verlauf nehmen konnten. Die Therapie wäre also die eigentliche Krankheit.
Unnötige Tote durch Ignoranz: Der Fall Semmelweis
Alle drei Überlegungen stehen völlig im Einklang mit der Vorgehensweise der evidenzbasierten Medizin. Sie sind falsifizierbar und könnten als Arbeitshypothese herhalten. Bei einer weniger emotional aufgeladenen Thematik würde sie jeder sofort als legitime Einwände auffassen. Doch Köhnleins Ausführungen rufen sofort massive Abwehrreaktionen sowohl aus Ärzteschaft und medizinischer Forschung, als auch aus Journalismus und Medien hervor. Die harsche Ablehnung erinnert dabei bedrückend an ein berühmtes historisches Beispiel: Den österreichisch-ungarischen Arzt Ignaz Semmelweis[3]Nuland, Sherwin B.: Ignaz Semmelweis. Arzt und großer Entdecker. München, 2006..
Semmelweis gehörte zu den ersten Ärzten, die erkannten, dass bereits durch die Einhaltung einfachster Hygienemaßnahmen in Krankenhäusern die Sterblichkeit der Patienten massiv gesenkt werden kann. Semmelweis arbeitete als einfacher Assistenzarzt an einer Geburtenabteilung in Wien. Die Abteilung war in zwei Stationen aufgeteilt. In der ersten Station wurden Hebammenschülerinnen ausgebildet, an der zweiten übernahmen Ärzte in der Ausbildung die entsprechenden Aufgaben. Semmelweis stellte fest, dass Sterblichkeit an Kindbettfieber in der Station mit den jungen Ärzten nahezu zehnmal so hoch war, wie in der Station mit den angehenden Hebammen. Nach und nach konnte er herausarbeiten, dass die hohe Sterblichkeit in der Station mit den jungen Ärzten damit zusammenhing, dass diese auch Leichensektionen durchführten und danach direkt auf der Geburtenabteilung weiterarbeiteten. Hierdurch wurden Erreger (die Semmelweis noch nicht kannte) von den Leichen auf die werdenden Mütter übertragen. Durch die Einführung einfacher Händedesinfektion konnte Semmelweis die Sterblichkeit auf dieser Station drastisch auf das Niveau der Hebammen-Station senken.
Ab diesem Punkt hätte Semmelweis‘ Entdeckung eigentlich eine Sensation sein müssen. Aber es kam anders: Semmelweis war als „Emporkömmling“ aus dem Bürgertum nicht in der Lage, seine Entdeckung in der damaligen Ärzteschaft zu verbreiten. Diese fühlte sich durch seine Thesen eher angegriffen – bedeuteten sie doch im Ergebnis, dass die Ärzteschaft gerade durch ihre Tätigkeit die eigenen Patienten überhaupt erst in Lebensgefahr brachte. Semmelweis wurde daraufhin zum Paria und verzweifelte wohl immer mehr an der Situation. Er wusste, dass auf Grund der mangelhaften Hygiene seiner Kollegen Tag für Tag in den Krankenhäusern Menschen starben, aber hatte keine Möglichkeit, diese Situation irgendwie zu beeinflussen. Er verfiel in Depressionen und starb unter nie ganz geklärten Umständen in einer psychiatrischen Anstalt. Erst einige Jahre nach seinem Tod wurde er rehabilitiert und seine Entdeckung entsprechend gewürdigt. Weil zu wenige und zu wenig einflussreiche Menschen Semmelweis‘ Einschätzungen Glauben geschenkt hatten, hatte man etliche Jahre verloren – und damit unzählige Menschenleben geopfert.
Die Causa Semmelweis enthält eine wichtige Warnung nicht nur für die medizinische Forschung:
Die Notwendigkeit zur Überprüfung einer These kann sich nicht nur aus der von der fachkundigen Allgemeinheit angenommenen Wahrscheinlichkeit ihres Zutreffens ergeben, sondern auch aus der Schwere der Folgen, die sich aus ihrem Zutreffen ableiten würden.
Die Seuche der Schwulen: AIDS als Stigma und Katalysator der Emanzipation
Und damit sind wir wieder bei Dr. Claus Köhnlein und der angeblichen Verharmlosung von AIDS: Was wäre, wenn seine Thesen zuträfen? Was, wenn das HI-Virus eben keine tödliche Autoimmunerkrankung auslöst, sondern letztere tatsächlich erst durch eine massive Übertherapie zu Tage tritt?
Blicken wir etwas zurück:
Anfang der 1980er-Jahre befand sich die Schwulenbewegung noch in den Kinderschuhen und gleichzeitig an einem Wendepunkt. Die Riots an der Christopher Street waren gerade gute zehn Jahre her. Man begann also, sich zu emanzipieren. Selbst in Deutschland – genauer gesagt, der „freiheitlichen“ Bundesrepublik – wurden praktizierende Schwule jedoch immer noch systematisch verfolgt und ins Gefängnis gesteckt. Das letzte Opfer dieser institutionalisierten Diskriminierung ist erst nach der Jahrtausendwende aus der Haft entlassen worden.
Das Aufkommen von AIDS bedeutete für die Szene eine massive Bedrohung. Gleichzeitig dürfte die Allgegenwärtigkeit des Todes jedoch den inneren Zusammenhalt entscheidend gestärkt haben. Der erfolgreiche Kampf für die gesellschaftliche Anerkennung von Homosexualität ist also untrennbar mit der Seuche verknüpft. Dieser Kampf war eines der dominierenden kulturellen Themen der 1980er- und 1990er-Jahre.
Wenn sich AIDS nun als Phantomkrankheit herausstellen würde, müsste diese Geschichte in einem wesentlichen Teil umgeschrieben werden. Aus der erfolgreichen Bekämpfung einer tödlichen Seuche würde quasi über Nacht eine moderne Hexenjagd gegen homosexuelle Menschen. Vielleicht sogar ein regelrechter Genozid – ermöglicht durch Vorurteile, Stigmatisierung und profane finanzielle Interessen der Pharma-Industrie. Es wäre nach der spanischen Grippe die größte medizinische Katastrophe des 20. Jahrhunderts und würde den Contergan-Skandal weit in den Schatten stellen.
Big Pharma in der Krise: Ohne Krankheiten keine Profite
Die nächste Frage wäre dann, wie es überhaupt zu so einer allgemeinen Fehleinschätzung der Situation kommen konnte. Auch dafür bietet Köhnlein eine Hypothese:
Die Pharma-Industrie hat in etwa seit dem Ende des zweiten Weltkriegs ein erhebliches Problem, das sich Jahr für Jahr verschärft: Ihr gehen die Krankheiten aus. Für die allermeisten Allerweltsleiden und Geißeln der Menschheit von leichten Kopfschmerzen bis hin zu Herzinfarkten oder Cholera gibt es inzwischen mal mehr, mal weniger gut verträgliche Mittel und Anwendungen. Bei allen weit verbreiteten Pharmazeutika im Massenmarkt ist der Patentschutz seit Jahrzehnten ausgelaufen. Alle diese Mittel sind für einen Bruchteil des ursprünglichen Preises als günstige Generika am Weltmarkt verfügbar. Es gibt in diesem Markt fast keine Margen mehr, um gewinnbringend zu arbeiten. Der Pharmaindustrie bleiben nur zwei Möglichkeiten, noch das große Geld zu verdienen:
- Man verbessert eine pharmazeutische Therapie, sodass es zu weniger Nebenwirkungen und besserer Verträglichkeit kommt
- Man nimmt sich eine bisher nicht behandelbare Krankheit vor
Bereits die erste Variante hat Tücken, denn sie kann dazu führen, dass ein Konzern dazu neigt, schlecht erprobte Mittel vorschnell auf den Markt zu werfen. Der Lipobay-Skandal ist so entstanden. Die zweite Variante klingt zunächst auch positiv, aber es gibt ein großes Problem: Die Krankheiten, die noch nicht behandelbar sind, sind eher selten. Wenn überhaupt geforscht wird, entstehen gigantische Therapiekosten für die aus der Forschung resultierenden Mittel. Und daraus ergibt sich dann folgendes: Die Pharmaindustrie hat ein gigantisches Interesse daran, immer neue Krankheiten zu finden, die sich dann leicht mit neuen, einfach zu erforschenden Mitteln behandeln lassen. Je weiter verbreitet diese Krankheiten sind, um so besser für die Pharmaindustrie. Es ist also gut denkbar, dass sich innerhalb der Pharmaindustrie über die Jahre Strukturen herausgebildet haben, die das Erschaffen von Phantomkrankheiten fördern. Selbst, wenn es nicht zu Lockdowns und Massenpsychosen führt, wäre der gesamtgesellschaftliche Schaden solcher Strukturen enorm, denn er würde massiv die Krankenkassen belasten und Menschen fragwürdigen medikamentösen Therapien aussetzen.
Die Folgen der Korrektheit Köhnleins Thesen und der sogenannten „AIDS-Leugner“ wären also katastrophal und müssten zu einem radikalen Umdenken im Public Health-Sektor sowie der Pharmaindustrie führen.
Die Frage, die wir uns letztlich stellen müssen, ist, ob wir es uns leisten können, einfach weiterzumachen, auch wenn Köhnlein recht hat. Nur dann nämlich dürfen wir seine Thesen wegschieben und ignorieren. Wenn wir hingegen zu dem Schluss kommen, dass zu viel auf dem Spiel steht, dann müssen wir auch kontroversen, auf den ersten, vielleicht auch zweiten Blick abwegigen Thesen nachgehen.
Bei Köhnlein und seiner AIDS-Hypothese ist diese Schwelle meilenweit überschritten.
Fußnoten
↑1 | Die Original-Videos sind inzwischen leider der Youtube-Zensur zum Opfer gefallen |
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↑2 | Köhnlein, Klaus et al.: Virus-Wahn. Corona/COVID-19, Masern, Schweinegrippe, Vogelgrippe, SARS, BSE, Hepatitis C, AIDS, Polio, Spanische Grippe. Wie die Medizinindustrie ständig Seuchen erfindet und auf Kosten der Allgemeinheit Milliardenprofite macht. Norderstedt: 2021 |
↑3 | Nuland, Sherwin B.: Ignaz Semmelweis. Arzt und großer Entdecker. München, 2006. |
Im Jahr 2016 habe ich meine HIV Therapie abgebrochen und ganze drei Jahre später bekam ich Kaposi Sarkoma (ganz ohne Drogen oder Poppers oder sonstigen Substanzen). Dr. Claus Köhnlein war dann derjenige, der mir in einem telefonischen Gespräch nahelegte, den Anweisungen meiner Hausärztin zu folgen und die HIV Therapie so schnell wie möglich aufzunehmen.
Einen anderen Ratschlag, was ich davon unabhängig tun könnte gab er mir nicht.
Ihn mit Semmelweis zu vergleichen, finde ich doch etwas fragwürdig. Gab Semmelweis klare Anweisungen, die zu einer Abnahme der Sterblichkeit führten, so ist Dr. Köhnlein dazu nicht in der Lage, Hinweise oder Anweisungen zu geben, die einen Ausbruch des HI-Virus verhindern und in einer Erkrankung enden (außer wenn es soweit ist, doch die Medikamente zu nehmen).
Nachdem ich den Hinweis meiner Ärztin (und somit auch den von Dr. Claus Köhnlein) befolgte, bildete sich das Kaposi Sarkom zurück und kam nie wieder zurück. Die Medikamente nehme ich weiterhin und fühle mich gesünder als in den Jahren der Therapiepause.
Dass ich Dr. Claus Köhnlein (und auch Juliane Sacher) auf den Leim gegangen bin, finde ich heute für mich mehr als beschämend. Ich habe mich jeglichen Fortschritten unserer modernen und wissenschaftlich orientierten Welt verweigert und das bitter mit meiner Gesundheit bezahlt. Geholfen hat mit der „gute“ Herr Doktor in dieser Krise jedoch nicht wirklich, außer sich selbst zu widersprechen, indem er mir die sofortige Medikation nahelegte.